* 16. April 1946
von Lutz Lesle
Essay
Aufschlussreich für Vasksʼ Selbstbild als Komponist – als »lettischer Komponist«, wie er nicht müde wird zu betonen – ist ein Vortrag, den er im Okt. 1992 beim Symposion »Musik und Kirche« in Brixen in Südtirol hielt. Darin verweist Vasks auf die historischen und biografischen Voraussetzungen seines Schaffens und bekennt sich zu einem humanen, panreligiösen Ethos seiner Musik. Er erinnert an den Jahrhunderte alten Leidensweg des lettischen Volks, insbesondere während des 2. Weltkriegs und der sowjetischen Okkupation, an die unausgesetzten Verstöße gegen Menschlichkeit und Menschenwürde auch in anderen Teilen der Welt. Schönbergs Aphorismus »Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleiden« (1910) ähnlich ist das Selbstbekenntnis, in das Vasksʼ Ausführungen münden: »Das Mitleiden mit den Schmerzen der Welt empfinde ich als Ausgangspunkt meines Schaffens.« Dieses Ethos begründet Vasks mit den Traumata seiner Lebensgeschichte: der Vater, Geistlicher in Kurzeme [Kurland], und seine Gemeinde hatten während der sowjetischen Okkupation Deportationen erlebt, Zensur und andere Behinderungen; nach den Barrikadenkämpfen im Winter 1990/91 und der am 21. August 1991 wiedererlangten Freiheit wurden die Hoffnungen auf bessere Lebensbedingungen und das Ende der Korruption in der Lettischen Republik erneut enttäuscht.
Ästhetische ...